"Was ist eigentlich das Tolle an dieser Stadt?" Mit dieser Frage setzt "Merian"-Chefredakteur Andreas Hallaschka das Leitbild für das neue Berlin-Heft.
Hallaschka empfindet die Hauptstadt als "extrem facettenreich". Es sei
ihm und seinem Team wichtig gewesen, "eine Momentaufnahme zu machen, zu
personalisieren".
"Wir sind in die
Viertel gegangen, etwa nach Neukölln, oder sind mit Martina Gedeck
durch Charlottenburg flaniert." Für "Merian" ist Berlin "das neue New York,
weil es so viele Freiräume und Platz hat. Platz für Ideen, Platz für
Entfaltung – Sinnbild dafür sei das Tempelhofer Feld, das allein schon
mit seiner enormen Fläche viel Platz mitten in der Großstadt bietet. "Wo
sonst gibt es so etwas?"
Hallaschka,
der in der Nachwendezeit als "Stern"-Korrespondent in Berlin arbeitete,
ist die ungespielte Begeisterung für das "brodelnde Ost-West-Labor"
anzumerken, wenn es ihm entfährt: "Wow, was für 'ne Stadt – es ist
schön, sich beruflich mal mit einer richtigen Weltstadt beschäftigen zu
dürfen."
Seit dem 24. Januar liegt das "Merian"-Heft
am Kiosk, die elfte "Berlin"-Ausgabe ist 180 Seiten stark (davon 35
Seiten ausführlicher Infoteil), wurde in einer erhöhten Auflage von
130.000 Exemplaren gedruckt und kostet 7,95 Euro. Über eine
iPad-Version, dann womöglich auch auf Englisch, wird intern noch
diskutiert.
Mehr als ein Jahr hat
die Redaktion an der Ausgabe gearbeitet, das Desaster um der
Hauptstadtflughafen habe man dabei bewusst ausgelassen. Dafür habe man
sich lieber verstärkt um Personen und Persönlichkeiten gekümmert. Und um
den Zeitgeist.
Kaminer muss Müll trennen, Treppe fegen
So lernte
Bestsellerautor Wladimir Kaminer durch seine neuen Nachbarn aus
Baden-Württemberg etwa die schwäbische Kehrwoche kennen, was ihn an "die
sogenannten freiwilligen kollektiven Arbeitseinsätze in meiner
sozialistischen planwirtschaftlichen Heimat" erinnerte. Müll trennen,
Treppe fegen und andere "Grundwerte".
Schauspielerin
Martina Gedeck (die im Berliner Bezirk Zehlendorf wohnt) stellt ihr
Lieblingsviertel vor: Charlottenburg – das Berlin ihrer Teenagerjahre.
Sie führt den
Leser in die "Espressobar" in der Mommsenstraße, zum Friseur ihres
Vertrauens ("Uwe Stylisten" in der Pestalozzistraße) und auch zum immer
noch sehenswerten "Delphi Filmpalast", der in den 30er-Jahren ein
beliebtes Tanzlokal war und nach dem Krieg als größtes Premierenkino
wiedereröffnete.
Problembezirk Neukölln ist "Neucool"
"Wir sind
Helden"-Sängerin Judith Holofernes ist aufgefallen, "dass in Kreuzberg
überdurchschnittlich viele verrückte Frauen zwischen Mitte 50 und 60
wohnen". Passend zum Zeitgeist widmet sich das Magazin, das nie ein
Reiseführer im klassischen Sinne sein wollte, dem Trend zum Gärtnern in
der Stadt, den jungen Israelis in Berlin und dem Kiez Neuköllns, das
sich vom "Problemviertel zum Hipster-Revier" entwickelt hat.
"Berlins dunkle
Schmuddelecke wird plötzlich hip", "Neukölln ist aufregend,
skandalumwittert und in Bewegung", heißt es in "Merian". Das weiß kaum
einer so gut wie Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky. Er sagt: "Wo
Neukölln ist, ist vorne." Für die "Merian"-Redaktion ist Neukölln
"Neucool" und Berlin
Eine
Foto-Reportage zeigt die Schreibtische von Ministern, Konzernchefs und
Kreativen, darunter die Arbeitsplätze von Wolfgang Schäuble, Günther
Jauch, Theaterintendant Claus Peymann oder Springer-Chef Mathias
Döpfner. Vorgestellt werden Museen abseits der großen Besucherströme,
wie die Gemäldegalerie, die Liebermann-Villa und die Berlinische
Galerie.
Comeback der "City West"
Berlins Tourismuschef
Burkhard Kieker nennt das neue Heft "richtig gut" und einen "gelungenen
Schnappschuss", wobei er nicht findet, dass sich Berlin mit New York
oder anderen Städten vergleichen muss.
"Pariser
Charme? Das neue New York? Man sollte Vergleiche mit anderen Städten
vermeiden", sagt Kieker. Berlin ist einzigartig und man kann den
Berlinern nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben – das
funktioniert sowieso nicht."
Einer der großen Trends ist für ihn das Comeback des West-Teils und verweist auf das jüngst eröffnete "Waldorf Astoria"-Hotel,
die Bautätigkeiten am "Bikini-Haus"
(Breitscheidplatz/Gedächtniskirche), das Haus Cumberland am
Kurfürstendamm. Die Galerie C/O (Internationales Forum für Fotografie)
zieht von der Oranienburger Straße in Mitte ins "Amerika-Haus" in der
Hardenbergstraße (Charlottenburg). Totgesagte leben länger.
Und von wegen
Hartz-IV-Hauptstadt: "Es gibt auch wieder Geld in der Stadt." Als
ernsthaften Konkurrenten für Berlin als Tourismusziel sieht Kieker in
Europa die türkische Metropole Istanbul.
Es seien, so
Kieker, die großen "T"s, die Großstädte nach vorne bringen würden:
Toleranz, Talent und Technologie. Berlin habe diese Zutaten und Istanbul
sehr eine enorm tolerante Stadt.Berlin als -Metropole?