Samstag, 26. Januar 2013

Berlin zwischen Schwaben, Ku'damm und "Neucool"

Ist Berlin tatsächlich das neue New York? Das neue "Merian"-Heft über die deutsche Hauptstadt suggeriert genau das – und belegt die These mit all den Verrücktheiten der Stadt. Von
"Was ist eigentlich das Tolle an dieser Stadt?" Mit dieser Frage setzt "Merian"-Chefredakteur Andreas Hallaschka das Leitbild für das neue Berlin-Heft. Hallaschka empfindet die Hauptstadt als "extrem facettenreich". Es sei ihm und seinem Team wichtig gewesen, "eine Momentaufnahme zu machen, zu personalisieren".

"Wir sind in die Viertel gegangen, etwa nach Neukölln, oder sind mit Martina Gedeck durch Charlottenburg flaniert." Für "Merian" ist Berlin "das neue New York, weil es so viele Freiräume und Platz hat. Platz für Ideen, Platz für Entfaltung – Sinnbild dafür sei das Tempelhofer Feld, das allein schon mit seiner enormen Fläche viel Platz mitten in der Großstadt bietet. "Wo sonst gibt es so etwas?"

Hallaschka, der in der Nachwendezeit als "Stern"-Korrespondent in Berlin arbeitete, ist die ungespielte Begeisterung für das "brodelnde Ost-West-Labor" anzumerken, wenn es ihm entfährt: "Wow, was für 'ne Stadt – es ist schön, sich beruflich mal mit einer richtigen Weltstadt beschäftigen zu dürfen."

Seit dem 24. Januar liegt das "Merian"-Heft am Kiosk, die elfte "Berlin"-Ausgabe ist 180 Seiten stark (davon 35 Seiten ausführlicher Infoteil), wurde in einer erhöhten Auflage von 130.000 Exemplaren gedruckt und kostet 7,95 Euro. Über eine iPad-Version, dann womöglich auch auf Englisch, wird intern noch diskutiert.

Mehr als ein Jahr hat die Redaktion an der Ausgabe gearbeitet, das Desaster um der Hauptstadtflughafen habe man dabei bewusst ausgelassen. Dafür habe man sich lieber verstärkt um Personen und Persönlichkeiten gekümmert. Und um den Zeitgeist.

Kaminer muss Müll trennen, Treppe fegen


So lernte Bestsellerautor Wladimir Kaminer durch seine neuen Nachbarn aus Baden-Württemberg etwa die schwäbische Kehrwoche kennen, was ihn an "die sogenannten freiwilligen kollektiven Arbeitseinsätze in meiner sozialistischen planwirtschaftlichen Heimat" erinnerte. Müll trennen, Treppe fegen und andere "Grundwerte".

Schauspielerin Martina Gedeck (die im Berliner Bezirk Zehlendorf wohnt) stellt ihr Lieblingsviertel vor: Charlottenburg – das Berlin ihrer Teenagerjahre.

Sie führt den Leser in die "Espressobar" in der Mommsenstraße, zum Friseur ihres Vertrauens ("Uwe Stylisten" in der Pestalozzistraße) und auch zum immer noch sehenswerten "Delphi Filmpalast", der in den 30er-Jahren ein beliebtes Tanzlokal war und nach dem Krieg als größtes Premierenkino wiedereröffnete.

Problembezirk Neukölln ist "Neucool"


"Wir sind Helden"-Sängerin Judith Holofernes ist aufgefallen, "dass in Kreuzberg überdurchschnittlich viele verrückte Frauen zwischen Mitte 50 und 60 wohnen". Passend zum Zeitgeist widmet sich das Magazin, das nie ein Reiseführer im klassischen Sinne sein wollte, dem Trend zum Gärtnern in der Stadt, den jungen Israelis in Berlin und dem Kiez Neuköllns, das sich vom "Problemviertel zum Hipster-Revier" entwickelt hat.

"Berlins dunkle Schmuddelecke wird plötzlich hip", "Neukölln ist aufregend, skandalumwittert und in Bewegung", heißt es in "Merian". Das weiß kaum einer so gut wie Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky. Er sagt: "Wo Neukölln ist, ist vorne." Für die "Merian"-Redaktion ist Neukölln "Neucool" und Berlin

Eine Foto-Reportage zeigt die Schreibtische von Ministern, Konzernchefs und Kreativen, darunter die Arbeitsplätze von Wolfgang Schäuble, Günther Jauch, Theaterintendant Claus Peymann oder Springer-Chef Mathias Döpfner. Vorgestellt werden Museen abseits der großen Besucherströme, wie die Gemäldegalerie, die Liebermann-Villa und die Berlinische Galerie.

Comeback der "City West"


Berlins Tourismuschef Burkhard Kieker nennt das neue Heft "richtig gut" und einen "gelungenen Schnappschuss", wobei er nicht findet, dass sich Berlin mit New York oder anderen Städten vergleichen muss.

"Pariser Charme? Das neue New York? Man sollte Vergleiche mit anderen Städten vermeiden", sagt Kieker. Berlin ist einzigartig und man kann den Berlinern nicht vorschreiben, wie sie sich zu verhalten haben – das funktioniert sowieso nicht."

Einer der großen Trends ist für ihn das Comeback des West-Teils und verweist auf das jüngst eröffnete "Waldorf Astoria"-Hotel, die Bautätigkeiten am "Bikini-Haus" (Breitscheidplatz/Gedächtniskirche), das Haus Cumberland am Kurfürstendamm. Die Galerie C/O (Internationales Forum für Fotografie) zieht von der Oranienburger Straße in Mitte ins "Amerika-Haus" in der Hardenbergstraße (Charlottenburg). Totgesagte leben länger.

Und von wegen Hartz-IV-Hauptstadt: "Es gibt auch wieder Geld in der Stadt." Als ernsthaften Konkurrenten für Berlin als Tourismusziel sieht Kieker in Europa die türkische Metropole Istanbul.

Es seien, so Kieker, die großen "T"s, die Großstädte nach vorne bringen würden: Toleranz, Talent und Technologie. Berlin habe diese Zutaten und Istanbul sehr eine enorm tolerante Stadt.Berlin als -Metropole?




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